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MMS - In der Lage 20.11.2020 – 5.12.2020

In der Lage | MMS OFFSPACE 8

Um Absenz und Präsenz kreisen die Arbeiten der aktuellen Ausstellung des MMS Offspace. Bereits die Ausstellungsräume selbst hängen zwischen diesen Polen; untergebracht in einem ehemaligen Ladengeschäft im Parterre eines um 1900 erbauten Wohnhauses, an dessen Wänden die Farbreste der vergangenen 130 Jahre freigelegt wurden. Diese Farbreste stören die zu erwartende Reinheit des Ausstellungsraumes, sie schleppt sich abwesend / anwesend ins Heute und trübt den Blick auf die Werke. An einer dieser Wände hat Aria Farajnezhad über die kultivierten Farbreste im Stile der Beschriftung einer weißen Museumswand Auszüge aus dem Gutachten eines Architekturbüros zur Nachnutzung des ehemaligen Gebäudes der Bundesbank, welches sich in unmittelbarer Nähe zum Offspace befindet, angebracht. „In Der Lage“ ist der Titel seiner Wandarbeit, denn in der Lage sind Grundstücke lukrativ. Das Gebäude steht seit mehr als zehn Jahren leer und soll nun abgerissen und durch einen vielgeschossigen Wohnblock ersetzt werden, in dem teure Eigentumswohnungen untergebracht werden sollen und gegen den eine Bürgerinitiative protestiert. Die Pläne der Architekten zur Nachnutzung des Baus sind voller negativ konnotierter Begriffe wie „demontieren“, „abgebrochen“ oder „Schadstoff“. Vor der Perspektive dieser unwirtlichen Umgestaltung des Areals hat Hassan Sheidaei einen leerlaufenden Plattenspieler auf einem Sockel platziert. Dieser Plattenspieler generiert aus der Leere, wegen der Leere einen Pfeifton, der an das Pfeifen einer Alarmsirene erinnert. Es scheint so, als würde sich hier eine Gefahr ankündigen, die in der Leere der Räume, in ihrer Zeichnung durch die Zeit angelegt ist. Der Titel behauptet ganz entgegen der Arbeit selbst ein Ende der Gefahr, die (Aufhebung aller Alarme). Anwesend dagegen ist in Yvon Chabrowskis Videoskulptur „The Appropriate Body“ der Körper der Performerin Sunayana Shetty. Im Rahmen eines 50-Zoll-Monitors bildet sie Yogafiguren. Die Grenzen ihrer Bewegung werden durch das zwar lebensgroße, aber doch standardisierte Format eingegrenzt. Dabei wird Yoga als Metapher für kapitalkonforme, fitte und flexible Körper sichtbar. In den individual verantworteten Karrieren der neoliberalen Welt haben die Grenzen der Bewegungen die Gestalt ihrer Möglichkeiten angenommen.

- Radek Krolczyk