ANISOTROPIEN | MMS OFFSPACE 3
ANISOTROPIEN nennen Barbara Proschak (1984) und Irene Strese (1986) ihre Ausstellung im MMS Offspace. Mit diesem Titel nehmen sie Bezug auf die Richtungsabhängigkeit der physikalischen und chemischen Eigenschaften von bestimmten Werkstoffen. Anisotropien treten unter anderem bei der Wärmebehandlung von Glasscheiben auf und können zu Spannungszonen führen, die an einer Doppelbrechung des Lichtes sichtbar werden.
Eine breite Glasfront trennt den MMS-Ausstellungsraum von der Straße, Innen und Außen sind somit markiert, aber durch die Glasscheibe verbleibt eine latente Durchlässigkeit. Die Künstlerinnen haben entschieden, diesen Ausstellungsraum zugleich als Atelier und Bühne zu nutzen, nicht einfach Objekte im Schaufenster zu positionieren, sondern über mehrere Tage selber anwesend zu sein. Damit zeigen sie zum einen die Körperlichkeit als ein Motiv ihrer jeweiligen künstlerischen Arbeitsweise auf. Zum anderen bringen sie eine Sehnsucht nach direktem Kontakt und nicht digitaler Interaktion zum Ausdruck, die in Zeiten von staatlich verordneten Kontaktbeschränkungen, Videokonferenzen und virtuellen Ausstellungsrundgängen virulent wird.
Denn die durch das Coronavirus ausgelösten derzeitigen gesellschaftlichen Veränderungen und temporären Neuregelungen des sozialen Miteinanders nehmen unweigerlich Einfluss auf die künstlerische Produktion und geplante gemeinsame Präsentation der Arbeiten. Der Ausstellungsaufbau, das Einladen der Öffentlichkeit zum Eröffnungsabend und weitere Vermittlungsformate vor Ort sind aktuell nicht in der gewohnten Form möglich. Proschak und Strese reagieren auf diese Einschränkungen nicht einfach nur, sondern sehen sie als Aufforderung zum Experiment, zur Suche nach anderen Formaten der Präsentation und Vermittlung ihrer Werke.
So plant Barbara Proschak beispielsweise eine Art „Live-Telefon-Gespräch“ mit Personen, die vor dem Ausstellungsfenster stehen. Auf diese Weise begibt sie sich in Kontakt mit den Besucherinnen und erklärt sich bereit, diese in die Themen- und Werkauswahl ihrer Arbeits- und Präsentationsprozesse hinter der Glasscheibe zu involvieren. Auch Irene Strese spielt mit dem neu entstehenden Spannungsfeld zwischen Künstlerin, Werk und Betrachterin: Sie aktiviert ihre neueste Arbeit vor Ort und lässt sich von dieser stützen, schaut hinaus. Und es stellt sich die Frage: Wer betrachtet in diesem Setting eigentlich wen?
ANISOTROPIEN lässt sich als öffentliche Produktions- und Ausstellungshandlung begreifen, mäandernd zwischen intimen Einblicken in die Arbeitsprozesse der Künstlerinnen, ihren performativen Darbietungen und der Suche nach Kommunikation, sowohl untereinander als auch mit den Zuschauerinnen. Und so werden sie, allein oder gemeinsam, immer wieder auch die Glasscheibe, die sie von ihren Ausstellungsbesucherinnen/dem Außen trennt/schützt, in den Blick nehmen, bearbeiten oder auch nach Anisotropien in derselbigen suchen.
- Sarah Maria Kaiser